4 Weitere Einflüsse der Schallwandbreite

Kap. 1 hat einführend gezeigt, dass sich Frequenzgang und Rundstrahlverhalten eines Dipols abhängig von Membran- und Schallwandgröße ändern. Diesen Zusammenhang betrachten wir jetzt genauer.

4.1 Verhältnis der Schallwandbreite zum Membrandurchmesser

Mellow und Kärkkäinen stellen bei Linkwitz dar, wie sich bei einem festen Membranradius "a" mit wachsendem Schallwandradius "b" die Dipoleigenschaften verändern:


Abb. 4.1: Schalldruckverlauf einer Dipolquelle mit Radius "a" für 0°-75° bei steigendem Schallwandradius "b"

Bis oberhalb der ersten Dipolspitze bleibt das prinzipielle Verhalten unabhängig vom Membranradius gleich - es verschiebt sich nur zu tieferen Frequenzen. Und entsprechend hebt sich der Tieftonpegel - siehe grüne Markierung links am Diagramm.

Im rechten Viertel des Diagramms erkennen wir die Bündelung der Membran. Sie ist weitgehend unabhängig von der Schallwandbreite und beginnt immer bei der gleichen Frequenz -abhängig vom Membranradius. Dazwischen öffnet sich mit zunehmender Schallwandgröße ein (hier rot markierter) Bereich, in dem die Dipolvorzüge weitgehend verloren gehen.

Der Idealzustand "b=a" ist praktisch nicht herstellbar, da die Membran eine Aufhängung braucht. Diese stellt bereits eine Art Schallwand dar. Das frei - ohne zusätzliche Schallwand - montierte Chassis kommt dem Ideal aber sehr nahe. Eine Schallwand, die doppelt so breit ist wie die Membran (b=2a), ist noch ein guter Kompromiss.

4.2 Auswirkungen auf das Polardiagramm

Die unterschiedlichen Größenverhältnisse von Membranradius a und Schallwandradius b lassen sich auch im Polardiagramme nachvollziehen. Betrachten wir zuerst ein Verhältnis von ~b=8a:


Abb. 4.2: Lautsprechermembran mit 3 cm Durchmesser auf rechteckiger Schallwand 100 x 20 cm, mittig auf 85 cm Höhe eingebaut

Für einen Membranradius a=1,5 cm entspricht ka=1 etwa 3,6 kHz. 1,28 kHz entsprechen dann ca. ka=0,5. In unserem Beispiel (b=8a) liegt das in Abb. 4.1 an der unteren Grenze zum roten Bereich. Deshalb geht auch im Polardiagramm bis 1.28 kHz noch "alles glatt". Bei höheren Frequenzen im roten Bereich kommt es auch im Polardiagramm zu Welligkeiten und zu seitlicher Aufblähung.

Weiter zu einer Membran mit 10 cm Durchmesser auf gleicher Schallwand, also ~b=2a:


Abb. 4.3: Lautsprechermembran mit 10 cm Durchmesser auf rechteckiger Schallwand 100 x 20 cm, mittig auf 85 cm Höhe eingebaut

Hier entspricht ka=1 rund 1 kHz. Maßgeblich ist das zweite Diagramm in Abb. 4.1. Auch hier ist bis 1,28 kHz alles in Ordnung. Sogar die Kurve für 2,56 kHz - mitten im roten Bereich - ist weniger wellig und aufgebläht. Die 5,12 kHz-Kurve (wieder außerhalb des roten Bereichs) ist bereits völlig vom Bündelungsverhalten des Chassis geprägt.

4.3 Reale und effektive Schallwandbreite

Die Darstellungen von Mellow und Kärkkäinen beziehen sich immer auf Chassis, die zentral in kreisförmigen Schallwänden eingebaut sind. Definiert werden die Schallwände durch Radius bzw. Durchmesser. In der Praxis werden eher rechteckige Schallwände mit definierter Breite verwendet. Wie passen Durchmesser und Breite zusammen?

Das exakteste Kennzeichen für die Dipollänge (entspricht Schallwandradius) ist das erste Dipolminimum. Dieses ist besser ausgeprägt als das Maximum. Wir vergleichen in Edge zwei Chassispositionen auf einer Schallwand von 100 x 30 cm (grüne Kurven) und ermitteln die jeweils am Dipolminimum passenden runden Schallwände (rote Kurven):

Reale und effektive Schallwandbreite
Abb. 4.4: Lautsprechermembran mit 10 cm Durchmesser auf rechteckiger Schallwand 100 x 30 cm.
Links: Chassis mittig auf 85 cm Höhe. Rechts: Chassis zentral auf 50 cm Höhe

Wie bereits früher angedeutet, übertreibt Edge etwas mit den Maxima und Minima bei runden Schallwänden. Klar sichtbar ist, dass in beiden Fällen die effektive Schallwandbreite (der Durchmesser der äquivalenten Kreisscheibe) größer ist als die Breite der rechteckigen Schallwand.

4.4 Theorie und Wirklichkeit

Was bleibt von der Theorie übrig, wenn man reale Chassis in rechteckige statt kreisrunde Schallwände einbaut - vielleicht sogar aus der Mitte versetzt? Wir messen einen kleinen Breitbandlautsprecher (Vifa TC9FD-18-08) zuerst völlig ohne Schallwand und danach in Schallwänden zunehmender Größe. Alle Messungen enthalten ein Hochpassfilter ab 500 Hz. Die obere Abbildung zeigt jeweils das passende Diagramm von Mellow und Kärkkäinen, darunter sind entsprechende Messungen. Die X-Achse ist auf ka=1 normiert. Membran und Schallwand sind maßstabsgerecht rechts unten eingeblendet. Die Schalldruckskala ist nicht kalibriert.

Chassis ohne Schallwand (b=a)
Chassis ohne Schallwand
Abb. 4.5: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Chassis mit Korbgröße 8,4 x 8,4 cm.

Zwischen 1 und 2 kHz ist eine Überhöhung im Frequenzgang, die zu größeren Winkeln stärker wird. Das deutet darauf hin, dass diese Unregelmäßigkeit vom Korb auf der Rückseite hervorgerufen wird. Bei komplett fehlender Schallwand machen sich generell Eigenarten der Chassiskonstruktion besonders stark bemerkbar - was die Chassisauswahl erschweren kann. Ab ca. 3,5 kHz übernimmt die Kalotte die Schallwiedergabe. Das Modell b=a greift jetzt nicht mehr. Weil die Kalotte klein ist im Verhältnis zur Wellenlänge, wird die Abstrahlung kurzzeitig wieder breiter.

Schallwand 14 x 14 cm (b=2a)
Schallwand 14 x 14 cm
Abb. 4.6: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Schallwand 14 x 14 cm.

Das effektive Schallwand/Membran-Verhältnis tendiert zu b=3a, deshalb sind Dipolspitze und Dipolsenke leicht nach links verschoben und die Dipolsenke ist deutlich vergrößert. Ab 4,5 kHz wird der Einsatz der Kalotte erkennbar. Bis dahin folgt der Frequenzgang weitgehend der Theorie. Man beachte, wie bei 3,5 kHz die Winkelfrequenzgänge eng zusammenlaufen - in Richtung 60-70° ist der Schalldruck deutlich erhöht.

Schallwand 50 x 45 cm (b=8a)
Schallwand 50 x 45 cm
Abb. 4.7: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Schallwand 50 x 45 cm.

Die Membran ist nicht mehr zentral angeordnet. Die gemessenen Dipolsenken sind deshalb nicht so tief und spitz wie im Modell, dafür umso breiter. Alle drei in der Theorie vorgesehenen Senken sind auch in der Messung erkennbar. Der - beinahe - rundstrahlende Bereich reicht jetzt von 1-6 kHz. Zwischen 800 Hz und 2,5 kHz ist der Direktschall leiser als eine Menge Schall außerhalb der Achse.

4.5 Schallwandlänge

Nach der Betrachtung der Schallwandbreite schauen wir noch auf den Einfluss der Schallwandlänge. Wir starten mit der Schallwandgröße 14 x 14 cm aus Abb. 4.6 und verlängern nach unten. Der Abstand des Chassis zur Schallwandoberkante bleibt also immer gleich. Man kann das Ergebnis vorwegnehmen:

Die Lage der Dipolsenke verändert sich nicht, nur ihre Tiefe wird geringer. Die Bündelung oberhalb der Dipolsenke behält ebenfalls ihren Charakter. Es ändert sich im Wesentlichen der Beginn des Dipol-Abfalls. Seine Einsatzfrequenz sinkt mit steigender Schallwandlänge. Je nach Interpretation gewinnt man 1/2 bis eine Oktave, bevor der Dipolabfall kompensiert werden muss. Genau genommen ist dieser Schalldruckgewinn nicht der Zunahme an Schallwandlänge geschuldet, sondern der Schallwandfläche.

Schallwand 14 x 14 cm
Abb. 4.8: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Schallwand 14 x 14 cm.

Schallwand 14 x 21 cm
Abb. 4.9: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Schallwand 14 x 21 cm.

Schallwand 14 x 40 cm
Abb. 4.10: Lautsprechermembran mit 7 cm Durchmesser in Schallwand 14 x 40 cm.

Natürlich hat die größere Schallwandlänge auch Einfluss auf das vertikale Abstrahlverhalten, das tendenziell Richtung Boden zunimmt.

Ein Breitband- oder Mittel-Hochtonchassis im Dipol erfordert meistens eine bestimmte Schallwandbreite für eine gewünschte Bassunterstützung. Man sollte dann immer die größte Membran wählen, die noch sinnvoll einsetzbar ist. Das gilt auch, wenn diese Membran aufgrund ihrer Größe früh bündelt. Es ist besser, einen oder zwei Hochtöner hinzuzufügen, als einen Dipol zu weit "im roten Bereich" zu betreiben.