5 Offene Schallwand und Raumeinfluss

Der Raum, in dem eine Offene Schallwand steht, bestimmt ihre Wiedergabe wesentlich mit. Durch richtige Platzierung von Dipolen und Hörplatz kann man ihn positiv nutzen.

5.1 Einfluss der Bodenaufstellung

Stellt man eine Offene Schallwand auf den Boden, passiert bei tiefen Frequenzen zweierlei:


Abb. 5.1: Dipolbass in Offener Schallwand: Rot völlig ohne Raumeinfluss, blau mit Reflexion am Boden. Grün mit angehobenem Chassis (50 cm über Boden). (K)

Ein Dipolbass sollte möglichst nahe am Boden platziert werden. Einerseits wegen des Bassgewinns, andererseits wegen der verringerten Anregung von vertikalen Raummoden (mehr dazu in Kap. 5.5). Ein zweites, höher angebrachtes Chassis produziert nur geringfügig weniger Bass, verhält sich aber im Mittelton anders.

Wenn Lautsprecher und Hörer einen deutlichen Abstand zum Boden haben, kommt es zu einer Bodenreflexion, die als "Spiegelquelle" wirkt. Es ist, als ob wir unter den zu simulierenden Lautsprecher einen zweiten, exakt gleichen, nach unten gespiegelt stellen:

Reflexion als Spiegelquelle
Abb. 5.2: Anordnung der Spiegelquelle. Lautsprecherchassis und Hörer sind auf 1 m Höhe angenommen.

Wir simulieren die Verhältnisse für ein Chassis in 10 (blau), 50 (grün) und 100 cm (rot) Bodenabstand:


Abb. 5.3: Breitband-Chassis mit 10 cm Durchmesser auf Offener Schallwand in 10, 50 und 100 cm Höhe eingebaut. Simulation mit Bodeneinfluss für Hörer in 3 m Entfernung und 1 m Höhe. (K)

Die Spiegelquelle führt zu Auslöschungen und Verstärkungen. Deren Frequenzlage sinkt mit steigender Chassishöhe auf der Schallwand. Sie hängt aber auch von der Hörentfernung und Hörhöhe ab. Unter realen Bedingungen sind die Auslöschungen ab 2000 Hz praktisch nicht mehr hörbar.

Ein Chassis in Bodennähe zeigt kaum Auslöschungen. Deshalb werden von manchen Verfechtern der reinen Lehre niedrige Offene Schallwände mit tiefliegenden Breitband-Chassis bevorzugt.

5.2 Einfluss des Wandabstands

Wir sind bisher davon ausgegangen, dass der Schall von der Rückseite der Membran um die Schallwand nach vorn wandert und sich ansonsten im Raum "verliert". Aber natürlich befindet sich irgendwo hinter dem Lautsprecher eine Frontwand und neben ihm eine Seitenwand, die den Schall in Richtung des Hörers reflektieren. Es ist zu beachten, dass der von der Membranrückseite ausgehende Schall gegenüber dem von der Vorderseite um eine halbe Wellenlänge versetzt ist.

Wie sich solche Reflexionen auswirken, zeigen die folgenden Simulationen. Wir beginnen mit dem Abstand zur Frontwand:

Wandreflexionen von Dipolen 1
Abb. 5.4: Tieftonchassis auf Offener Schallwand. Änderung des Abstands zwischen Schallwand und Frontwand. Frequenzgang in 2,5 m Entfernung von der Schallwand. (K)

Im Vergleich zum Freifeld-Frequenzgang (rosa) fehlt es bei 50 cm Wandabstand durchgehend an Tiefbass. Bei 1 m Abstand wird der Bass ab 35 Hz stärker als im Freifeld. Bei noch mehr Abstand wird der Zugewinn bereits deutlich geringer. Wenn von weiterem hohem Bassgewinn bei 2 oder 3 m Abstand zur Frontwand berichtet wird, wurde in aller Regel dabei der Hörabstand in gleichem Maß verringert. Eine Verkleinerung des Hörabstands führt zu deutlich mehr Bass. Dieser Effekt ist aber unabhängig vom Wandabstand, wie eine Untersuchung von John Reekie zeigt.

Reflexionen vom Boden und (nächster) Seitenwand wirken in ähnlicher Weise:

Wandreflexionen von Dipolen 2
Abb. 5.5: Veränderung des Frequenzgangs am Hörplatz durch erste Reflexionen an Boden, Front- und Seitenwand. Zweiwegsystem auf Offener Schallwand, Frequenzgang in 2,5 m Entfernung von der Schallwand. Darstellung im Freifeld (rot), mit Bodenreflexion (lila) und mit Reflexionen an Front- und Seitenwänden (blau) des Raums. Raumsituation links - OBs um 45° eingewinkelt. (K)

Die rote Kurve zeigt das Verhalten im Freifeld. Die lila Kurve addiert den Gewinn/Verlust durch Bodenreflexion im Tiefbass und Spiegelquelle im Mittelton. Die blaue Kurve fügt die frühen Reflexionen der Frontwand und der nächsten Seitenwand hinzu. Rückwand und Decke sind nicht berücksichtigt - also auch keine Raummoden.

Die Raumwände führen zu Schalldruckverlusten unter 30 Hz, aber zu Gewinnen ab 40 Hz. Durch die 45°-Stellung der Schallwände zu den Raumachsen ist das Reflexionsspektrum ausgewogener. Das zeigt sich im Vergleich mit einer Simulation bei 0°-Ausrichtung:

Wandreflexionen von Dipolen 3
Abb. 5.6: Veränderung des Frequenzgangs am Hörplatz durch erste Reflexionen an Boden, Front- und Seitenwand. Frequenzgang am Hörplatz (2,5 m von der Schallwand). Vergleich von paralleler Ausrichtung der Schallwände (rot) und 45°-Einwinkelung (blau). (K)

5.3 Weniger Diffusfeld für Dipole

Wir betrachten einen herkömmlichen geschlossenen Lautsprecher (Monopol) und einen Dipol bei niedrigen Frequenzen, bei denen noch keine Bündelungseffekte einsetzen. Beide Lautsprecher sollen am Hörplatz gleich laut sein.

Abgestrahlte Schallenergie bei Monopol und Dipol
Abb. 5.7: Schallabstrahlung eines Dipol (links) gegenüber Monopol (rechts) bei gleicher Lautstärke. Aufstellungslinie rot, Hördistanz grün.

Es ist offensichtlich, dass der Dipol insgesamt wesentlich weniger Schallenergie in den Raum abstrahlt. Es sind nur 1/3 entsprechend -4,8 dB. Das führt dazu, dass der Diffusschall im Raum beim Dipol ebenfalls um 4,8 dB niedriger ist als beim Monopol.

Verhältnis von Direktschall und Diffusschall
Abb. 5.8: Diffusschall Dipol (dunkelgrün) und Monopol (hellgrün) im Verhältnis zur Direktschallstärke (rot).

Die Schallstärke nimmt vom Lautsprecher in Richtung Hörer linear ab. Der Punkt, an dem Direktschall und Diffusfeld gleich werden, ist beim Dipol (D) weiter vom Lautsprecher weg als beim Monopol (M). In einem typischen Raum sind diese Entfernungen rund 0,7 m (M) und rund 1,2 m (D). Bei angenommenen 3 m Hörentfernung ist der Direktschall dann 12,4 dB unter dem Diffusschall beim Monopol und nur 7,7 dB darunter beim Dipol. Eine exakte Herleitung dazu liefert Linkwitz.

Unmittelbare Folge ist, dass Klangdetails deutlich weniger vom allgemeinen Raumgeräusch verdeckt werden als bei herkömmlichen Lautsprechern. Die Dipolwiedergabe wirkt klarer und präziser.

5.4 Einfluss von Reflexionen

Gern wird behauptet, dass Dipole größere Räume benötigen und stärkere Reflexionen verursachen als herkömmliche Lautsprecher. Wir untersuchen deshalb, bei welcher minimalen Raumgröße ein Dipol keine hörbaren schädlichen Reflexionen mehr verursacht. Wann sind Reflexionen nicht mehr schädlich? Dafür sehen wir uns die Hörschwellen für frühe Reflexionen an:

Hörschwellen
Abb. 5.9: Hörschwellen für frühe Reflexionen relativ zum Direktschall (nach Toole: Sound Reproduction).

Innerhalb der ersten 20 Millisekunden sind alle Reflexionen weitgehend unhörbar, wenn sie mindestens 15 dB unter dem Direktschall liegen. Das entspricht in Abb. 5.9 der Trennlinie zwischen dem grünen und dem gelben Bereich. Lautere Reflexionen führen zuerst zu einer subjektiv größeren Räumlichkeit, die aber die originale Räumlichkeit der Aufnahme überdecken kann. Wenn es noch lauter wird, verbreitert sich die Abbildung der einzelnen Schallquellen (Stimmen, Instrumente) in der Aufnahme.

James Heddle hat eine Excel Arbeitsmappe entwickelt, mit der sich die frühen Reflexionen für Dipole und Omnipole (rundstrahlende Lautsprecher) in Räumen berechnen lassen. Damit habe ich die kleinste Raumgröße und Anordnung simuliert, die bei Dipolen mindestens -15 dB erreicht (ohne Bodenreflexion):

Vergleich der Reflexionen
Abb. 5.10: Kleinste Raumgröße, die für einen Dipol frühe Reflexionen unter -15 dB und ein Delay von mindestens 6 ms erlaubt (Bodenreflexion ausgenommen).

Angenommen wurde eine Dämpfung von 3 dB bei jeder Wandreflexion. Man beachte, wie eine Einwinkelung des Dipols von 45° die Reflexionswerte für Front- und Rückwand zusätzlich reduziert:

Vergleichswerte der Reflexionen
Abb. 5.11: Werte für die Reflexionspunkte in Abb. 5.10.

Es bleibt der Einwand, dass herkömmliche Lautsprecher bei höheren Frequenzen keine Omnipole mehr sind, sondern hohe Frequenzen nicht mehr nach hinten abgeben - was sie überlegen mache. Das betrifft dann die Reflexionen an der Frontwand und der Ecke vorn. Wie Abb. 5.11 zeigt, sind diese Reflexionen des Dipols 45° bereits deutlich leiser als -15 dB. Es besteht gar kein Grund, sie noch leiser zu machen.

Bringt es Vorteile, wenn man sich weiter von den Dipolen entfernt setzt? Im Gegenteil - im Verhältnis zum Direktschall wird ein Großteil der frühen Reflexionen lauter und erreicht den Hörer früher:

Vergleich von Hörabständen
Abb. 5.12: Vergleich unterschiedlicher Hörabstände: 2 m <> 1 m.

5.5 Anregung von Raummoden

Räume sind Hohlkörper. Sie wirken als Resonatoren für alle Frequenzen, die mit einer halben Wellenlänge oder einem mehrfachen davon zwischen die Raumwände passen. Diese Frequenzen nennt man Raummoden. Sie haben an den begrenzenden Wänden ein Druckmaximum und dazwischen ein (oder mehrere) Druckminimum - auch Schnellemaximum genannt:


Abb. 5.13: Verteilung der ersten drei Raummoden in einer Raumachse

Raummoden werden von Lautsprechern angeregt. Je höher die Frequenz ist, desto dichter folgen diese Raummoden auf der Frequenzskala aufeinander. In hierzulande üblichen Raumgrößen liegen die Moden ab rund 300 Hz so dicht beieinander, dass sie vom Gehör nicht mehr getrennt werden können. Im Bass liegen die Raummoden so weit auseinander, dass sie u. U. störend auffallen. Die Kontrolle der Raummoden-Anregung ist deshalb von Bedeutung.

Die Verteilung der Raummoden lässt sich für übliche quaderförmige Räume schnell berechnen. Online-Rechner gibt es dafür bei Hunecke oder bei Sengpiel.

Stellt man einen herkömmlichen Lautsprecher (im Folgenden "Monopol" genannt) dicht an eine Wand, vergrößert sich der Schalldruck - zumindest im Bass. Stellt man einen Dipol dicht an eine Wand, verringert sich der Schalldruck im Bass, wie Abb. 5.4 gezeigt hat. Der Dipol reagiert also umgekehrt wie ein Monopol. Er regt die Raummoden im Schnellemaximum an, der Monopol im Druckmaximum. Das gilt auch für die Raummitte. Man nennt deshalb einen Monopol "Druckwandler", einen Dipol "Schnellewandler".

Ein Monopol regt Raummoden in alle Richtungen gleich an. Dipole haben - auch im Bass - eine deutliche Richtcharakteristik. Deshalb regen sie Moden in der Hoch- und Querachse ihrer Aufstellung grundsätzlich weniger an als in der Längsachse. Durch richtige Platzierung eines Dipols lassen sich die ersten Raummoden teilweise kontrollieren - vergleiche Abb 5.13. Eine Aufstellung im Punkt B führt zu einer minimierten Anregung der ersten Raummoden, weil hier ein niedriges Schnelleniveau liegt. Am Hörplatz A ist dagegen die Druckverteilung so homogen und niedrig wie möglich - also passend für den Hörplatz. Diese Anordnung sollte in Bezug auf Raummoden ein ausgewogenes Ergebnis liefern.

5.6 Platzierung im Raum

Die Ausführungen aus Kap. 5.3 und 5.5 ergeben als optimalen Aufstellungsort einer offenen Schallwand einen Punkt, der zwischen 1/4 und 1/3 der Raumlänge in Hörrichtung liegt. Linkwitz macht darauf aufmerksam, dass der Hörplatz um die gleiche Länge von der gegenüberliegenden Raumwand entfernt sein sollte, damit sich dort Vorder- und Rückwandreflektionen gegenseitig auslöschen. Durch diese Anordnung von Dipolen und Hörplatz lässt sich der Einfluss des Raumes minimieren.

Die folgenden Simulationen machen das deutlich. Sie wurden mit dem Room Response Calculator (RRC) der FRD Group hergestellt. Der RRC berechnet ausschließlich den Einfluss von Reflektionen am Hörplatz, berücksichtigt aber weder den 6 dB Dipolabfall im Bass noch die Anregung von Raummoden. Wir betrachten zuerst die Änderungen im Frequenzgang, wenn der Hörplatz in Richtung der offenen Schallwand verschoben wird:

Lage von Dipol und Hörplatz im Raum
Abb. 5.14: Raum mit den Dimensionen 6,5 x 4,5 x 2,5 m. Verschiebung des Hörplatzes in vier Schritten in Richtung Lautsprecherebene. Simuliert wird nur der rechte Dipol (rot/orange) des Stereopaars.

Frequenzgang (bis 200 Hz) an verschiedenen Hörplätzen
Abb. 5.15: Resultierender Frequenzgang an verschiedenen Hörplätzen auf der Mittelachse des Raumes. Rückwandabstand 1 m (blau), 1,5 m (schwarz), 2 m (rosa), 2,5 m (grün) und 3 m (gelb). Lautsprecherabstand zur hinteren Wand 1,5 m.

Der günstigste Frequenzverlauf ergibt sich bei gleichem Wandabstand (hier 1,5 m) von offener Schallwand und Hörer. Wie nicht anders zu erwarten, vermindert sich der Einfluss der Reflektionen umso mehr, je näher Lautsprecher und Hörplatz zusammenrücken:

Symmetrische Verringerung des Hörabstands
Abb. 5.16: Raum mit den Dimensionen 6 x 4,5 x 2,5 m. Verschiebung von Hörplatz und Lautsprecher in vier Schritten in Richtung Raummitte. Simuliert wird nur ein Dipol (rot/orange).

Frequenzgang (bis 200 Hz) an verschiedenen Hörplätzen
Abb. 5.17: Resultierender Frequenzgang bei unterschiedlichem Abstand von Hörplatz und offener Schallwand: 4 m (gelb), 3 m (blau), 2 m (rosa), 1 m (schwarz) und 0,5 m (grün). Aufstellung immer symmetrisch zur Raummitte.

5.7 Druckverhältnisse im Tiefbass

Ein Ton von 34 Hz hat eine Wellenlänge von 10 m. Eine Halbwelle ist 5 m lang. Jede Halbwelle dauert 14,7 Millisekunden (ms). In Räumen üblicher Größe erreicht uns in diesen 14 ms nicht nur der direkte Schall eines Lautsprechers, sondern auch die meisten frühen Reflexionen (Boden, Decke, Seitenwände, Frontwand). Weil alles in der gleichen Halbwelle passiert, überlagern sich bei herkömmlichen Lautsprechern die einzelnen Anteile konstruktiv - zu einem Gesamtdruck, der höher ist als der Direktschall. Mit sinkender Frequenz wird die Anzahl dieser Reflexionen, die sich konstruktiv zum Direktschall addieren können, immer größer.

Dies ist die Quelle des "Room gain".

Im Gegensatz zu herkömmlichen Lautsprechern strahlen Dipole nicht abwechselnd eine positive und negative Halbwelle ab, sondern immer beide gleichzeitig - nur in entgegengesetzter Richtung. Bei tiefen Frequenzen sind die Reflexionen deshalb innerhalb einer Halbwelle auch nicht einheitlich positiv oder negativ. Deshalb entsteht bei Dipolen dieser "Room gain" nicht.